Zusammen mit 44 Organisationen haben wir ein Positionspapier gegen die Verschärfungen des Asylsystems veröffentlicht. Das Positionspapier richtet sich an Ulf Kämpfer, den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Kiel sowie an alle Sichere Häfen in Schleswig-Holstein und das Bündnis Städte Sicherer Häfen.
Positionspapier zur Verschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
Sehr geehrter Oberbürgermeister @ulfkaempfer,
wir wenden uns an Sie, weil Sie mit dem Beschluss vom 21. September 2023 in der Kieler Ratsversammlung beauftragt werden, „mit den anderen (schleswig-holsteinischen) Städten im Bündnis ‚Sichere Häfen‘ eine gemeinsame Stellungnahme zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) bei der Bundesregierung abzugeben, die deutlich macht, dass im Sinne des Bündnisses dringender Überarbeitungsbedarf des Kompromisses besteht“. Aus diesem Grund richtet sich unser Positionspapier auch an alle Bürgermeister*innen der Sicheren Häfen in Schleswig-Holstein sowie das Bündnis Städte Sicherer Häfen. Nachfolgend wollen wir verdeutlichen, welche wichtigen Punkte in dieser Stellungnahme aufgeführt werden müssen.
Wir erwarten eine Stellungnahme, aus der deutlich hervorgeht, dass der „Überarbeitungsbedarf des Kompromisses“ aus der Ablehnung menschenfeindlicher Maßnahmen hervorgeht und auf eine solidarische und rechtskonforme Migrations- und Asylpolitik zielt. Aus diesem Anlass fordern wir, dass in der Stellungnahme die verpflichtenden Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen, die Absenkung der Anforderungen an „sichere“ Drittstaaten, die Weiterführung des Dublin-Systems und die Krisenverordnung als Teile der GEAS-Verschärfung ersatzlos abgelehnt werden.
In den verpflichtenden Grenzverfahren soll das Anrecht auf Asyl bereits an den Außengrenzen geprüft werden. Dabei können Menschen, die unter anderem vor Krieg, Verfolgung und Hunger fliehen, während des Verfahrens ohne Straftatbestand inhaftiert werden. Auch Kinder sind von einer solchen Inhaftierung nicht ausgenommen. Diese geplante Selektion an den Außengrenzen bricht mit dem individuellen Recht auf Asyl.
In solchen Verfahren wird es unmöglich werden, einen angemessenen Schutzraum zu schaffen, in dem potenziell traumatische Fluchtgründe vorgetragen werden können und angemessene juristische Beratung zur Verfügung steht. Es können demnach keine fairen Verfahren erwartet werden. Wir fordern daher, dass in Ihrer Stellungnahme klar hervorgeht, dass es diese Grenzverfahren nicht geben darf.
Schon jetzt können Schutzsuchende, die über einen sogenannten „sicheren“ Drittstaat kommen, unabhängig von den individuellen Fluchtgründen abgelehnt und abgeschoben werden. Mit der GEAS-Verschärfung sollen die Kriterien an „sichere“ Drittstaaten noch weiter gesenkt werden; sogenannte „sichere“ Teilgebiete sollen künftig ausreichen, um Menschen in das Land abzuschieben. Das Konzept der sogenannten „sicheren“ Drittstaaten und der „sicheren“ Herkunftsländer ist grundsätzlich zu hinterfragen. Im Sinne der sicheren Häfen sollte jedoch zumindest mit Ihrer Stellungnahme darauf hingewirkt werden, dass die Kriterien für die Einstufung von Ländern als „sicher“ hoch- anstatt herabgesetzt werden.
In der sogenannten GEAS-„Reform“ soll das Dublin-System beibehalten und sogar verschärft werden. Dabei soll die Frist für eine innereuropäische Rücküberstellung an den als zuständig konstruierten Mitgliedsstaat von sechs auf zwölf Monate verdoppelt werden. Das Dublin-System, welches die Verantwortung auf die Länder an den europäischen Außengrenzen verlagert, hat in der Vergangenheit zu einer massiven Überforderung der EU-Außenstaaten und infolgedessen zu drastischen Menschenrechtsverletzungen geführt. Ein System, das schon in der Vergangenheit nicht funktioniert hat, beizubehalten und zu verschärfen, ist in keiner Weise zielführend.
Auch der geplante „Solidaritätsmechanismus“ wird weder die Länder an den Außengrenzen noch aufnehmende Kommunen entlasten. Staaten, die keine geflüchteten Menschen aufnehmen wollen, können sich von dieser Verantwortung mit einem Ablass freikaufen, der die Kosten für eine Aufnahme erheblich unterschreitet. Dieses Geld soll in einen noch gewaltvolleren Grenzschutz investiert werden.
Wir fordern, dass sich in Ihrer Stellungnahme für eine solidarische Aufnahme und Verteilung von geflüchteten Menschen stark gemacht wird, bei der die Rechte von geflüchteten Menschen und der Freedom of Choice (Geflüchtete können dort bleiben, wo sie soziale Bezüge haben oder aus anderen Gründen bleiben wollen) im Vordergrund stehen.
Die geplante Krisenverordnung soll es erlauben, dass EU-Staaten zahlreiche Mindeststandards in Extremsituationen herabsetzen können, also ausgerechnet dann, wenn die Not von geflüchteten Menschen am größten ist. So soll es unter anderem möglich gemacht werden, dass mehr Geflüchtete über längere Zeiträume an den EU-Außengrenzen inhaftiert werden können und die Standards der Unterbringungen stark gesenkt werden. Pro Asyl ordnet ein: „Schon seit Jahren versuchen Mitgliedstaaten sich mit vermeintlichen Ausnahmezuständen an den Außengrenzen aus ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen zu ziehen und genau dafür steht auch die Krisenverordnung“.* Diese Verordnung ist mit grundlegenden Menschen- und Geflüchtetenrechten ebenso unvereinbar wie mit den Forderungen des Bündnis Städte Sichere Häfen. Aus diesem Grund muss die Krisenverordnung vollends in Ihrer Stellungnahme abgelehnt werden.
Kiel hat sich bereits im November 2018 als Sicherer Hafen erklärt und ist außerdem Teil des Bündnis Städte Sicherer Häfen. Ein Sicherer Hafen steht gegen die Kriminalisierung von Flucht, fliehenden und geflüchteten Menschen und gegen die europäische Abschottungspolitik. Auf der Website der Seebrücke heißt es „Sichere Häfen müssen ihre politischen Möglichkeiten nutzen, um tatsächliche Veränderungen in der Migrations- und Aufnahmepolitik zu erreichen“.** Die anstehenden Veränderungen, die aus der Verschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems resultieren werden, widersprechen sowohl grundlegenden Menschenrechten als auch den Forderungen der Sicheren Häfen.
Wir fordern, dass aus Ihrer Stellungnahme zur GEAS-Verschärfung genau dies hervorgeht: Es muss deutlich werden, dass der „dringende Überarbeitungsbedarf des Kompromisses“ -wie es im Beschluss heißt- darin besteht, den Status quo der europäischen Migrationspolitik ebenso wie die geplanten Verschärfungen durch menschenrechtskonforme und solidarische Abkommen zu ersetzen.
Das Dublin-System und der sogenannte „Solidaritätsmechanismus“ müssen weichen für europäische Verantwortungsübernahme, echte solidarische Aufnahme und ernsthafte Unterstützung der Kommunen. Anstatt Fluchtbewegungen müssen Fluchtgründe und -ursachen bekämpft und sichere und legale Einreisemöglichkeiten geschaffen werden. Asylverfahren müssen individuell und unter dem Zugang zu Rechtsschutzmöglichkeiten durchgeführt werden. Die Grenzverfahren als Vorverfahren sind abzulehnen.